Ist Global Sourcing ein Auslaufmodell?

Die deutsche Wirtschaft hat sich seit Gründung der Bundesrepublik als insgesamt widerstandsfähig und erfolgreich erwiesen. Dabei kämpfte sie stets mit einem elementaren Problem: Auf dem eigenen Territorium gibt es nur wenige wichtige Rohstoffe. Diesen Mangel haben vorteilhafte Verträge mit Lieferanten in aller Welt über viele Jahre aufgefangen. Doch die Corona-Pandemie und geopolitische Ereignisse zeigen, dass heute die Suche nach „Best Cost Countries“ allein und auf Dauer kein Garant mehr für eine kostengünstige und zuverlässige Versorgung mit Ressourcen ist.

Die globale Beschaffung hat zuletzt zu erheblichen Problemen beim Lieferkettenmanagement geführt, die sich täglich oder stündlich ändern können. Unerwartete Engpässe und Nachfragespitzen lassen sich deshalb schlecht auffangen. Schon gar nicht in kurzer Zeit.

Doch wenn Global Sourcing nicht mehr sicher funktioniert, ist dann die Besinnung auf Local Sourcing, auch Regional Sourcing genannt, der bessere Weg? Worauf muss sich in diesem Zusammenhang die Logistik einstellen?
 

Global Sourcing vs. Local Sourcing – die Vor- und Nachteile

Beide Varianten haben ihre Berechtigung und weder die eine noch die andere ist für Unternehmen perfekt geeignet. Deshalb ist es im Einzelfall ratsam, den richtigen Mix und die passende Gewichtung beider Varianten zu finden. Hier folgt ein Vergleich zwischen Global Sourcing und Local Sourcing.
 

Die Vorteile von Global Sourcing

Wesentlicher Pluspunkt von Global Sourcing ist die Kosteneinsparung. Viele ausländische Hersteller können ihre Dienstleistungen und Produkte zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen anbieten, insbesondere in Regionen, in denen niedrige Löhne gezahlt werden. Diese Lieferanten ermöglichen es Unternehmen, Waren in großen Mengen vergleichsweise günstig einzukaufen. Weitere potenzielle Vorteile:

  • Im Ausland ist die Auswahl an Produkten größer.
  • Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) habe bessere Chancen auf Kooperationen, beispielsweise für kleine Produktserien.
  • Mehrere Lieferanten in unterschiedlichen Regionen schützen vor Lieferkettenproblemen aufgrund von Naturkatastrophen oder politischen Unruhen.
  • Global Sourcing kann ein Sprungbrett für die Erschließung neuer Märkte im Ausland sein.
     

Die Nachteile von Global Sourcing

  • Abweichende industrielle oder technische Standards entsprechen möglicherweise              nicht den eigenen Anforderungen.
  • Unterschiedliche Handelsbestimmungen können sich auf Importe und Exporte an              beiden Enden der Transaktion auswirken, beispielsweise auf Quoten und Zölle.
  • Dokumentationsanforderungen für grenzüberschreitende Prozesse sind unter                    Umständen zeitaufwändig und komplex.
  • Wechselkurse schwanken.
  • Die Lieferzeiten sind vergleichsweise lang.
     
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Die Vorteile von Local Sourcing

Local Sourcing bezieht sich auf die Beschaffung von Produkten oder Materialien von Herstellern im Heimatland oder sogar in der Nachbarschaft. Doch Einkaufen vor Ort hat oft seinen Preis. Die Entscheidung, in einen Hersteller im näheren Umfeld zu investieren, ist manchmal teurer als eine Investition im Ausland. Andererseits kann die lokale Beschaffung einfacher und schneller sein.

  • Lokale Beschaffung wird oft mit Nachhaltigkeit gleichgesetzt und ist deshalb nicht            zuletzt gut für das Unternehmensimage und den ökologischen Fußabdruck.
  • Kurze Wege und persönliche Kontakte stärken die Beziehung zu lokalen Lieferanten          und schaffen ein besonderes Gemeinschaftsgefühl. Das ist wichtig im Sinne der                Kundenbindung und -zufriedenheit.
  • Local Sourcing fördert Transparenz sowie Kontrolle, weil zahlreiche Entwicklungs-            und Managementaspekte schnell und übersichtlich besprochen werden können.
  • Die Beschaffung von Spezialprodukten bei lokalen Lieferanten wird viel einfacher, da        sich Anforderungen persönlich diskutieren lassen.
  • Kürzere Lieferketten führen zu einer besseren Vorhersehbarkeit der Durchlaufzeiten.
     

Die Nachteile von Local Sourcing

  • Die Kündigung eines Vertrags mit einem lokalen Lieferanten könnte zu schlechter              Publicity vor Ort führen.
  • Möglicherweise sind in der Umgebung keine Produkte in der gewünschten Qualität zu        bekommen.
  • Besonders Kooperationen zwischen KMU können leicht zu gegenseitigen                            Abhängigkeiten führen.
  • Die Auswahl ist geringer, daher sind die zu zahlenden Preise oft höher.
     

Global Sourcing, Local Sourcing – oder beides?

Die Frage der langfristig optimalen Beschaffung und Logistik lässt sich nur individuell und im Verbund mit allen beteiligten Stakeholdern klären. Dabei kann auch eine hybride Lösung ins Spiel kommen, also eine Kombination von Global und Local Sourcing. Diese Strategie vereint die Vorteile von Nähe, Beziehungsaufbau und Flexibilität mit den enormen Möglichkeiten und Wettbewerbsvorteilen globaler Netzwerke.

Der Schlüssel zu einer effektiven Beschaffungsstrategie liegt in der maßgeschneiderten Vorgehensweise auf der Grundlage spezifischer Geschäftsanforderungen. Beim Erfolg geht es nicht darum, das eine dem anderen vorzuziehen, sondern die beiden Modelle entsprechend den individuellen Produktanforderungen und situativen Bedürfnissen zu kombinieren.

Das Ausbalancieren der Vorteile lokaler Intimität und globaler Vielfalt bleibt entscheidend für die Entwicklung anpassungsfähiger und reaktionsfähiger Geschäftsmodelle, die den unterschiedlichen Marktanforderungen gerecht werden.

Unternehmen sollten bei der Auswahl einer Beschaffungsstrategie Faktoren wie Branchen- und Markttrends, Kosten und Qualität, geografische Lage und Logistik, ökologische und soziale Auswirkungen sowie Risikomanagement und Geschäftskontinuität berücksichtigen.

Es gibt fünf verschiedene Ebenen der Beschaffung, die jedes Unternehmen auf sich anwenden kann, um das ideale Sourcing-Modell zu finden:

  • Stufe 1: Nur Inlandskäufe.
  • Stufe 2: Internationale Einkäufe nach Bedarf.
  • Ebene 3: Beschaffungsstrategie, die den globalen Einkauf umfasst.
  • Stufe 4: Zentral koordinierter Einkauf über globale Standorte hinweg.
  • Ebene 5: Globale Koordination und Integration mit externen Stakeholdern.

Je höher die erreichte oder angepeilte Ebene, desto mehr Gewicht sollte tendenziell Global Sourcing erhalten.